Unser Lottchen hatte Geburtstag und ist jetzt auf einmal neun, die letzte Zahl, bevor es entgültig zweistellig in ihrem Leben weitergeht.
Darauf, dass sich dadurch viel mehr auf einen Schlag verändern würde als nur der Preis für einen Skipass, waren wir Eltern nicht vorbereitet.
Lotta steigt über das ganze Gesicht strahlend aus dem Skibus aus. Der Tag mit dem Skiclub in den Bergen hat ihr sichtlich gut getan. Ganz rosig sind ihre Wangen als sie auf uns Eltern zugelaufen kommt. „Mama, ein Junge hat mich nach meiner Nummer gefragt!“, sagt sie ganz aufgeregt. Ich muss kurz die Szene zurückspulen. Hat meine gerade neunjährige Tochter gerade wirklich das gesagt, was ich meine gehört zu haben? „Nach deiner Nummer? So wie Handynummer, meinst du ?“ frage ich noch einmal zur Sicherheit nach. Kann ja sein, dass ich einfach was mit den Ohren habe.
Habe ich aber (leider) nicht. Mein Mann und ich schauen uns fragend an, unser Au Pair quietscht ganz aufgeregt neben uns wie süß das doch ist. Mehr aus der Ahnungslosigkeit heraus nicken wir beide etwas verklärt, was natürlich Lotta sofort als Chance sieht zu ihrem kleinen Verehrer herüber zu laufen und ihm (mit der Mutter daneben) fast feierlich ihre Telefonnummer zu überreichen.
Wir Eltern kommen ehrlich gar nicht auf die Idee, selbst auch hinüber zu gehen und warten verhalten und mit Blicken in Lottas Richtung auf ihre Rückkehr zu uns. Was wir erfahren, ist, dass der Bursche gerade 11 geworden ist. Das beruhigt. Vielleicht haben sie sich ja einfach so gut verstanden, dass sie Freunde werden möchten denke ich.
Zu Hause kommen seit dem täglich Nachrichten, Emojis und Sprachnachrichten auf Lottas Handy an. Sie vertraut mir und ist stolz mir ihre Unterhaltungen mit dem Jungen zu zeigen. Klar, es ist alles sehr harmlos, mal ein paar Herzchen, dann wieder der blöde Schulalltag oder eine Unterhaltung über die besten Freizeitaktivitäten. Lotta hat eine Bildschirmzeit und kann nur sehr begrenzt antworten, der Junge auch.
Ich als Mama fühle mich das erste Mal überfordert mit der Situation. Mit 9 schon so ein reger Austausch mit einem Jungen, der ihr Komplimente macht und ganz unverblümt sagt, dass er noch keine Freundin hat, sich das aber ja vielleicht irgendwann ändern könnte ?!
Auf der anderen Seite die Gewissheit, dass ich das absolute Vertrauen meiner Tochter genieße und sie mit mir über alles spricht. Das will ich auf keinen Fall verlieren, also kommt ein Verbot des Kontaktes für mich nicht in die Tüte. Als mich Lotta dann nach einer Woche fragt, ob sie den Jungen vielleicht mal treffen dürfe, muss ich schlucken. Nachrichten und Bilder sind eine Sache, aber ein quasi Date ?!?
Ich recherchiere im Internet und frage im Bekanntenkreis. Keiner hat eine zufriedenstellende Antwort für mich. Das liegt sicher auch daran, dass Lotta eben keine normale Neunjährige ist. Sie sieht deutlich älter aus, verhält sich reifer, liest Jugendliteratur und kann sich selbst sehr gut erspüren. Nichts von all dem ist forciert, es ist eben einfach so. Mein Bauchgefühl hat eigentlich schon lange eine Antwort merke ich, als ich bei meinen besten Freunden eine Art Bestätigung für meine Herangehensweise suche: Ich werde es ihr erlauben. Nicht sofort und auch nicht irgendwo. Falls die beiden in den nächsten 2 Wochen weiter so interessiert an einander sind, darf Lotta den Jungen zu uns nach Hause einladen und ich werde dann mal mit der Mama telefonieren.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass erste Schwärmereien bei mir auch mit ungefähr 10 Jahren losgingen, vielleicht auch etwas eher. Nur gab es damals eben noch keine Handys, sondern man hat kleine Briefchen bekommen. Auf denen stand dann dann soetwas aufregendes wie „Hallo, willst du mit mir gehen. Kreuze an: Ja, nein, vielleicht.“ Lieblingsantwort war übrigens „vielleicht“. Was genau „gehen“ bedeutete ,ausser nebeneinander herlaufen und ganz eventuell Händchen halten, war sowieso nebensächlich.
Hat das Internet also ganze Arbeit geleistet und 11-jährige Jungs, die zu meiner Zeit noch nicht mal Mädchen in ihre Nähe gelassen haben, in kleine Herzchen-Emoji-schickende Rosenkavaliere verwandelt?
Ganz klar ist für uns Eltern, dass wir die Unterhaltung und die Entwicklung dieser doch etwas sehr jungen Freundschaft genau beobachten werden. Natürlich schwingt gerade in mir als Mutter die Sorge mit, dass Lotta in wenigen Wochen mit Herzschmerz kämpfen könnte, wenn der Junge vielleicht dem Charme eines andere Mädchens verfällt. (Nicht dass ich unbedingt etwas dagegen hätte). Aber bis dahin und natürlich auch dann bin ich für sie da und grinse doch etwas in mich hinein wenn ein „Und, hat er mir schon geschrieben, Mama?“ kommt.