Hey, das ist unfair!

Wenn das erste Kind geboren wird, gibt man all seine Aufmerksamkeit diesem kleinen schreienden aber vor Liebe strahlendem Bündel. Man umsorgt es und liest ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Jeder Moment wird festgehalten, das erste Haarlöckchen ins Fotoalbum geklebt und jeder Entwicklungsschritt akribisch ins Babytagebuch eingetragen.

Beim zweiten Kind freut man sich genauso, liebt es kein bisschen weniger doch die Aufmerksamkeit bleibt geteilt. Auf der einen Seite gibt man alles, was man kann dem gutriechenden und nach Mutterliebe verlangendem Krümel, auf der anderen Seite ist da das große Kind, das sich so bemüht, die Aufmerksamkeit, die es für die letzten Jahre sein Eigen nennen durfte, für nur einige Minuten komplett auf sich zu ziehen. Der Spagat ist groß und als Elternteil ist man in einem ständigen Zwiespalt und in den vergangenen 4 Jahren haben wir immer wieder Kompensationsphasen für die große Schwester eingeplant. Urlaube nur mit mir, besondere Veranstaltungen, die wir zusammen besuchen, Kurzurlaub mit Papa etc.

Seit die jüngere Tochter aber immer wortgewandter wird, ist klar, dass wir nicht einseitig kompensieren sollten.

Ein “das ist unfair” kommt ihrerseits um die 20 Mal am Tag. Ob berechtigt oder nicht sei erst einmal dahingestellt; das liegt ja schließlich im Auge des Betrachters. Wichtig ist aber, dass sie so versucht eine Botschaft an mich zu senden: “Mama, irgendetwas finde ich daran nicht gut.”

Oft dauert es einige Zeit bis ich transkribieren kann, was ihr Bedürfnis hinter dieser doch sehr generalisierten Aussage ist.

Hat ihr “das ist unfair” unterbewusst damit zu tun, dass sie im Grunde nie über längere Zeit ungeteilte Aufmerksamkeit genießen durfte?

Und wie reagiere ich als Mutter richtig bei oben genanntem Satz?

Was macht der Satz mit dem älteren Tochterkind?

Nach einer längeren Beleuchtung haben mein Mann und ich uns nun überlegt das Wort unfair in Zukunft gemeinsam mit ihr in das Wort umzuformen, was ihre Gefühle am passendsten beschreibt. Wir fragen Sie also ob sie Sich benachteiligt fühlt, wütend ist oder traurig. Denn, um es ganz praktisch zu sehen, kann man am Unfair sein wenig ändern, am wütend oder traurig sein aber schon.

Die große rollt dann meist nur mit den Augen oder lacht. An Madita’s Attitüde hat sie sich schließlich in den letzten vier Jahren gut gewöhnen können. Und doch: Manchmal sehe ich in ihren Augen etwas verletztes, etwas so ganz unterschwelliges, wie es nur eine Mutter sehen und fühlen kann. Ein schwaches “Mama, sehe mich!”Gerade in Augenblicken, in denen ich ihr meine Aufmerksamkeit schenke und mich ihrem Wesen widme kommt dann nicht untypisch ein “Hey, das ist unfair” von der Seite der kleinen Schwester.

Diese Momente sind es, die mich manchmal straucheln lassen, in denen ich mich in einer Sackgasse befinde. Ich möchte für meine große Tochter da sein und sie sehen. Ich möchte aber auch den Ruf der kleinen Tochter nach Aufmerksamkeit nicht überhören. Meistens ist der einzige Weg dann der Körperkontakt. Ich ergreife also Händchen und drücke sie liebevoll, ich lege meinen Arm auf zarte Kinderschultern oder hauche eine Kuss auf den Kinderkopf. Das zeigt meinen Kindern, dass ich sie sehe und wahrnehme und mich um Ihre Bedürfnisse kümmere sowie ich dafür bereit bin ohne dabei Prioritäten setzen zu müssen.

Uns ist es sehr wichtig, dass die beiden Mädchen mit der Überzeugung aufwachsen, sich in nichts nach zu stehen. Dass eben jeder seine Fähigkeiten und Fertigkeiten in bestimmten Bereichen hat und wir alles gleich viel schätzen. Denn das ist doch auch der Schlüssel zu einer von Liebe, Respekt und Einfühlsamkeit geprägten Beziehung unter Geschwistern.

2 Antworten auf „Hey, das ist unfair!“

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