Herzensmensch. – Hochsensibilität bei Kindern

IMG_7554

Als ich mir damals einen neuen Namen für meinen Blog und mein Instagram-Profil überlegt hatte, war die Entscheidung schnell auf „thelittleandthebrave“ gefallen. Zwei Mädchen wie sie nicht unterschiedlicher hätten sein können, eine Mama.

Im Nachhinein frage ich mich jedoch des Öfteren wer hier eigentlich „little“ und wer „brave“ ist.

„Sie ist eben ein Herzensmensch“

Schon bei Gesprächen im Kindergarten und im Alltag fiel mir vermehrt auf dass für unsere ältere Tochter Freundschaft, Gefühle und Vertrauen eine ganz andere Bedeutung besitzen als für ihre Altersgenossinen. Ein von Kindern schnell verwendeter Satz wie „Du bist nicht mehr meine Freundin“ -Ein Weltuntergang für Lotta.Ihre Erzieherin erklärte mir, dass Lotta Gefühle sehr stark wahrnimmt und es ihr manchmal schwer fällt diese nicht komplett an sich heranzulassen, ein Herzensmensch eben.

Zu Hause gab es andere Brennpunkte, die oft durch Weinen kompensiert wurden. Natürlich ist Weinen etwas vollkommen normales und ich finde es generell auch nicht schlimm, ABER wenn es um extrem kleine Nichtigkeiten (jedenfalls unter meinem Gesichtspunkt) geht, kann es einem schon einiges abverlangen ruhig zu bleiben.

The old soul

Ab dem Vorschulalter, spätestens mit Eintritt in die Schule, baute Lotta ihre Fähigkeiten weiter aus. Manchmal schien es, als würde ein Blick reichen und sie wüsste ganz genau wie ich gerade fühle. Eines unserer Au Pairs hat mal ganz treffend gesagt „She‘s such an old soul“ was soviel bedeutet wie „sie ist eine alte, erwachsene Seele in einem kindlichen Körper“

Unser kleiner „Vielfühler“ weinte bei Partituren in Moll „weil sie das Leid fühlen könnte“, weinte vor Glück, tauchte ihre Hände gewissenhaft in Linsenschüsseln, um jede einzelne zu erspüren und machte sich Gedanken um die Existenz von Mensch und Tier. Wir waren stolz darauf ein so einfühliges und interessiertes Kind zu haben und vielleicht auch ein bisschen stolz auf ihre Intelligenz.

Schattenseiten

So viel Lotta auch positives um sich herum wahrnahm und wiedergab, so viel negatives fing sie mit Eintritt in die Schule an zu belasten. Es waren die Kinder, die sie beschimpften (worauf sie dann meistens weinte, was die anderen noch mehr antriggerte), die Lehrerinnen, die sie nicht ernst nahmen und ganz alltägliche Situationen im sozialen Umfeld, die sie aufwühlten. Für Lotta gab es nur schwarz und weiss: Ein „ich mag dich nicht“ war in ihrer Welt ein ganz klares Zeichen dafür auf keinen Fall miteinander befreundet zu sein. Jetzt nicht und auch nicht in den nächsten 2 Monaten. Während es für die anderen Kinder normal erschien sich zwischendurch zu ärgern, nahm Lotta es sehr persönlich und war stark gekränkt. Sie verstand einfach nicht warum andere Kinder soetwas sagen sollten. In ihrer Welt gab es entweder schwarz oder weiss, ähnlich wie bei uns Erwachsenem. Sagt jemand zu mir, dass ich eine schreckliche Person sei, würde ich nicht im Traum auf die Idee kommen, diese Person in naher Zukunft auch nur eines Blickes zu würdigen.

Tiefpunkt

Im November letzten Jahres starb dann eine sehr gute Freundin -und Frau von Lottas Patenonkel- sehr unerwartet und äußerst tragisch.

Das war für uns alle ein großer Schock, besonders für Lotta. In den darauf folgenden Wochen wich sie mir nicht mehr von der Seite, schlief nachts in meinem Bett, aus Angst ich könnte eines Morgens einfach nicht mehr aufwachen und „tot im Bett“ liegen.

Ich versicherte ihr immer wieder, dass die Wahrscheinlichkeit äußerst gering wäre, dass soetwas passiere. Als Antwort kam „Mama, mit Wahrscheinlichkeiten musst du mir nicht kommen, es geht hier um ein Menschenleben.“

Als selbst zum Neujahrswechsel keine Besserung in Sicht war, sondern sich die Lage mehr und mehr zuspitzte, nahm ich Kontakt mit einer Psychotherapeutin auf.

In diversen Sitzungen erarbeitete sie mit Lotta ein Modell mit ihrer Angst umzugehen und tatsächlich, Lotta entspannte sich wieder mehr und mehr und war immer seltener von Verlustängsten umgeben.

Ich möchte bitte lösen: H-O-C-H-S-E-N-S-I-B-I-L-I-T-Ä-T

Bei unserer Abschlusssitzung sprach die Therapeutin mit mir über Lottas Gefühlsleben und ihre Empfindsamkeit. Kein einziges Mal fiel auch nur das Wort Hochsensibilität. Jedoch kam auch bei ihr schon meine Beobachtung zur Sprache: Dass meine Tochter oft schon emotional viel weiter wäre als ihre Altersgenossen und es beiden Parteien dadurch schwerer fiele mit einander zu interagieren, dass Lotta eine Art siebten Sinn hat, aber auch dass sie dazu neigt Gefühle zu überinterpretieren.

Wir vereinbarten, dass es von nun an meine Aufgabe sei, Lotta resilient zu machen und sie zu unterstützen um im normalen sozialen Alltag nicht nur zu „überleben“ sondern auch tatsächlich Freundschaften schließen zu können.

Zu Hause fiel mir dann ein Junge aus dem Kindergarten ein, in dem ich gearbeitet hatte. Er ging oft nur auf Zehenspitzen, verzog sich bei Streit in Ecken, aus denen er nur durch viel Einfühlsamkeit und überredungskunst wieder hervor kam und hatte Wutausbrüche für (für uns Erzieherinnen) manchmal unplausible Situationen. Eines Tages sprach meine Kollegin von hochsensiblen Eigenschaften und machte mich hellhörig. Ich googlelte also und fand Foren und Informationsseiten die 1:1 auf das Verhalten des Jugen passten.

Ich muss zugeben, dass ich als Mutter einen absoluten Tunnelblick hatte, was Lotta angeht. Denn auch auf sie trifft vieles, wenn doch nicht alles, aus den Beschreibungen über Hochsensibilität im Internet zu. Wieso ich erst jetzt nach so vielen Jahren mich mehr damit beschäftige, ist mir ebenfalls schleierhaft. Nun ja, zu mindest zum Teil, immerhin diagnostiziert man als Mutter ja nicht absichtlich sein Kind, sondern akzeptiert es mit seinen Eigenschaften und empfindet diese als positiv.

Das Kind braucht aber keinen Namen

Ja, ich denke, dass das Profil eines hochsensiblen Kindes mit dem meiner Tochter in vielen Teilen übereinstimmt. Und ja, es hilft mir zu wissen, was in ihrem Kopf und Herz gerade vorgehen könnte und wie ich sie am Besten in dieser Situation unterstützen kann.

Am Ende des Tages bleibt sie trotzdem jedoch mein Lottchen, dass ein Gespür für Menschen hat, Empathie zeigt, sich für die Welt interessiert und mit allen Sinnen liebt. Mein Herzensmensch eben.

Wer noch ein bisschen mehr über Hochsensibilität erfahren möchte oder sein Kind während des Lesens ebenfalls in einigen Aspekten wiederfinden konnte:

Hochsensibilität bei Kindern

https://www.aurum-cordis.de/hochsensibilitaet-bei-kindern

2 Antworten auf „Herzensmensch. – Hochsensibilität bei Kindern“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert